Stärker als die Wogen
Darin liegt die Kraft dieses Bildes: Es "predigt" den
Christus, stärker als die Wogen. Es lässt dem Betrachter
nicht zu, der beängstigenden Situation im seeuntüchtigen
Boot unter der todbringenden Woge den Vorrang zu geben.
Christus ist der Beherrschende"
Wundern wird uns, dass so viel von unserer Kraft
verloren geht, wenn wir doch immer wieder mit uns
beginnen, mit der Diagnose der menschlichen Existenz,
mit unseren Problemen? Das Bild predigt den Christus,
stärker als die Wogen. Darin richtet es unsere sündhafte
Denkgewohnheit und will uns befreien, mitten in den
Problemen zuversichtlich zu leben.
Christus ist der Herr - bei uns im seeuntüchtigen
Boot unter der drohenden Woge! Das ist keine fromme
Täuschung oder Ablenkung von den Realitäten des Lebens.
Es ist Wirklichkeit, die Gott in Jesus Christus in
unserer Welt gewirkt hat und heute für uns wirksam
macht:
Die Kreuzesform der Christusgestalt zeigt ihn als den
Gekreuzigten - gegenwärtig in der Tiefe, vertraut mit
allen Finsternissen bis hin zu dem Schrei: "Mein Gott -
warum!?" Er kennt die Ängste und Ausweglosigkeiten, in
den Gott unbegreiflich wird, so dass die Jünger azf sein
"Ich bin's" nur vor Furcht schreien können.
Das Licht, das ihn umgibt, weist auf ihn als den
Auferstandenen, der dem Tod die Macht genommen hat und
der uns nun nicht untergehen lässt in unseren
mannigfachen Nöten, sondern uns mitten darin sein Leben
gibt. Drückt die Haltung des Jüngers nicht mehr noch als
das Erschrecken das Überwundensein von dieser
Lebenswirklichkeit Gottes mitten in der Welt des Todes
aus?
Die ausgebreiteten Hände und der den Jüngern
zugeneigte Kopf zeigen ihn als den Erhöhten, der nei uns
ist alle Zage bis an der Welt Ende, der im Rachen der
Angst bewahrt uns Raum zum Leben gibt,
Die Überlegenheit der Gestalt erweist den Mächtigen.
Er schiebt die Finsternis beiseite wie einen Vorhang und
macht hinter den Realitäten des Lebens die Wirklichkeit
Gottes erfahrbar. Es ist keine feige, schwache Flucht
vor der Wirklichkeit, sondern es ist jedes mal Wirkung
seiner Macht, wenn wir aus dem Bann des Dunkels
herausgerissen werden und in die Wirklichkeit Gottes zu
fliehen vermögen - wenn wir glauben können. - Aber
deutet die Überlegenheit der Gestalt nicht auch an, dass
Christus die Finsternis endgültig überwinden und den
Sturm stillen wird? Dieser Christus ist auch der
Kommende, der uns die Zukunft eröffnet hat, auf den wir
gespannt warten und hoffen dürfen; "Ja, komm, Herr
Jesu!"
"Lotse" hat die Künstlerin diesen Holzschnitt
genannt. Ein Lotse bringt ans Ziel. Das Bild zeigt kein
Ziel im menschlichen Horizont - nach vorn und hinten
sind nur Dunkel und Ausweglosigkeit. Der einzige
Ausweg ist oben - von oben ist das Licht in die
Finsternis gekommen. Damit ist angedeutet: Das Ziel ist
Gott selbst, der Vater, sein Reich, seine Freude: nicht
unerreichbar fern, sondern mitten unter uns; und doch
nicht verfügbar, sondern kommend. Ohne den "Lotsen"
fänden wir's nicht!
Ich freue mich über die Predigt dieses Bildes für das
neue Jahr. Wir haben es nötig, uns immer wieder
"herauslotsen" zu lassen aus dem Bann unserer
Dunkelheiten - hinein in Seine Freude und Zuversicht.
Text: Ruth Worch
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