Rika Unger ● Lebenslauf und
künstlerischer Werdegang |
Rika Unger wurde am 12.5.1917 als dritte Tochter des
Pfarrers Alfred Unger und seiner Ehefrau Margarethe Unger,
geb. Lange in Stettin geboren. Kurz nach ihrer Geburt zog
die Familie nach Ferndorf im Siegerland, wo sie bis zu ihrem
14. Lebensjahr ihre Kindheit verbrachte. Als ihr Vater
Pfarrer am Zuchthaus in Münster in Westfalen wurde, siedelte
die Familie dorthin über. Schon früh wurde Rika Unger mit
der Problematik der Menschen hinter Gittern konfrontiert.In Münster machte sie das Abitur und begann mit dem Studium
der Volkswirtschaft und absolvierte die Ausbildung als
Jugendleiterin. Schon in dieser Zeit fand sie erste Kontakte
zum Tierbildhauer Arnold Schlick. Während des Zweiten
Weltkrieges wurde sie als Nachrichtenhelferin eingezogen.
Sie erlebte die Bombardierung Münsters. Als Evakuierte lebte
sie mit der Familie ihrer Schwester in Burgsteinfurt, wo sie
die durch die Nachkriegswirren mittellos gewordene Familie
unterstützte. Nach Kriegsende wurde sie Meisterschülerin bei
A. Schlick an der Universität Münster. Als weitere
künstlerische Ausbildung folgten Studien an einer
Kunstakademie in Holland innerhalb einer internationalen
Künstlergemeinschaft, in der Künstlerkolonie Darmstadt -
Mathildenhöhe und bei Dr. Frieling in Salzburg. |
Das
handwerkliche Rüstzeug holte sie sich durch Arbeit bei Steinmetzmeistern und Holzbildhauern. Auf diese Weise gewann
sie die Möglichkeit, in den Materialien Terrakotta, Holz,
Stein, Gips, Bronze, Aluminium und Stahl zu arbeiten. Es
folgten Reisen nach Paris, Chartres, Holland und Italien,
später nach Griechenland, Kreta und Malta, in die Provence
und die Bretagne, wo die Stätten archaischer Kunst sie
besonders berührten, so wie auch die afrikanischen
Skulpturen auf der Weltausstellung in Brüssel ( 1958).
In diese Zeit fällt auch die Begegnung mit dem Werk von
Ernst Barlach anlässlich einer großen Ausstellung in
Hamburg. Zu ihm fühlte Rika Unger eine geistige
Verwandtschaft. Von Barlach führte der Weg weiter zum
Altmeister der modernen Plastik, dem Engländer Henry Moore.
Vier Jahre lang ist Rika Unger jeweils im Sommer für einige
Wochen mit einem Zirkus gereist, darunter die Zirkusse
Williams, Barum und Grock. Sie zeichnete Menschen und Tiere
und war beeindruckt von der Mitmenschlichkeit der
Zirkusleute. Ein besonderes Erlebnis war die Begegnung mit
dem berühmten Clown Grock, jenem Schweizer Fabrikanten, der
nach dem Zweiten Weltkrieg als über Siebzigjähriger durch
das zerstörte Deutschland reiste, um als Clown den Menschen
Freude zu bringen.
Rika Unger sagte über ihren künstlerischen Weg: „Mein Weg
freier Gestaltung begann etwa in den fünfziger Jahren. Die
Frage nach dem Menschen und seiner Wirklichkeit hat meine
Gestaltung wesentlich inspiriert. Der Mensch ist immer
unterwegs zu sich selbst, so erlebe ich es. Und so erkenne
ich gleicherweise den Ort, wo meine Plastiken Aufstellung
finden können: für ‚Menschen unterwegs‘ als ‚Zeichen am
Wege‘.“
Mitte der fünfziger Jahre erhielt Rika Unger die ersten
größeren Aufträge, z.B. den Portalengel in Altenkirchen. In
dieser Phase hat sie sich intensiv mit Fragen des modernen
Kirchenbaus auseinander gesetzt, was im protestantischen
Raum nicht immer einfach war. Zeugnis dieser Beschäftigung
mit Problemen der Ausgestaltung eines sakralen Raumes ist
die Versöhnungskirche in Münster, mit deren künstlerischen
Gestaltung sie beauftragt wurde. |
Neben diesem Schwerpunkt ihres Denkens und Schaffens trat ab
Mitte der sechziger Jahre die Arbeit mit behinderten Kindern
und Jugendlichen. Durch Einzelschicksale in ihrem Umfeld
angerührt setzte sie ihre schöpferischen Fähigkeiten dafür
ein, behinderten Menschen mit Hilfe der Kunst und durch
künstlerisches Tun auf dem Weg der Selbstfindung und
Bewältigung des Lebens zu unterstützen. Ausdruck dieses
Engagements ist z.B. die Skulptur „Wegzeichen - ein Spiegel“
am
Heinrich-Piepmeyer-Haus in Münster.In den siebziger Jahren entwickelte R. Unger neben den
traditionellen Techniken der Graphik wie Holzschnitt,
Linol-, Schieferschnitt eine ihr Werk besonders prägende
neue Technik, die sog. Monorisse. Es handelt sich um
Kollagen, die aus gerissenem schwarzen und farbigen Papier
aufgebaut werden. Diese Technik - beim Reißen entsteht an
der Papierkante ein weißer Rand und aus dem durch das Reißen
zerstörten Papier entsteht etwas Neues - ist zugleich Symbol
für das, was R. Unger damit ausdrücken will: die Verwandlung
ist Grundlage allen Lebens. So heißt auch eine ihrer
wichtigsten Skulpturen „der Verwandler“, eine zwei Meter
hohe Bronzeskulptur, die seit 1984 auf dem Leuenberg in der
Schweiz steht. Dort nahm Rika Unger über mehrere Jahre mit
andern Künstlern an den von Ueli Ott ins Leben gerufenen
gestalterischen Wochen teil.
Der „Verwandler“ gehört zu einem Zyklus von acht
Bronzeskulpturen, die in den achtziger Jahren entstanden
sind und von R. Unger in verschiedenen Ausstellungen der
EXPONATA (1983, 86, 91)gezeigt wurden. Heute steht dieser
Zyklus „Jede Saat trägt Frucht“ als Leihgabe an die Stadt
Münster auf dem Waldfriedhof Lauheide. |
Prägend für die achtziger Jahre ist Rika Ungers
Engagement in der Friedensbewegung: Teilnahme an
Friedensketten, Ostermärschen, Demonstrationen z.B. im
Hunsrück waren für sie eine Selbstverständlichkeit, ebenso
wie die Aufrechterhaltung einer Mahnwache an der Lambertikirche in
Münster bis kurz vor ihrem Tod. Zeugnis ihres Einsatzes für
den Frieden ist eine aus einem Monolith gestaltete
Friedenssäule, die in Münster am St - Josefs- Kirchplatz
steht.
In den neunziger Jahren wurde die Gestaltung des
Kirchenraumes der Jacobusgemeinde in Blankenhagen bei
Gütersloh ein zentraler Punkt ihres Schaffens: Sie entwarf
dort ein großes Schöpfungsfenster im Kirchenraum, mehrere
andere Fenster im Gemeindezentrum. Über der Eingangstür
hängt die Bronzeplastik „Fußwaschung“; außerdem schuf sie
eine Darstellung des Jacobus für die Außenwand des
Kirchenraumes. Gleichzeitig engagierte sich Rika Unger in
verschiedenen Ausstellungen, z.T. in Zusammenarbeit mit dem
BBK wie im Umweltzentrum in Bergkamen oder im
Technologiezentrum in Bochum, z.T. in eigener Initiative im
botanischen Garten in Münster. Es war ihr wichtig, ihre drei
großen Objekte - aus Recyclingmaterial aufgebaut mit den
Titeln „verstiegen SOS“, „tödlicher Sog“, „Recycling
zentral“ auszustellen, um damit die Menschen für die
Notwendigkeit eines umfassenden Umweltschutzes wach zu
machen. |
Neben Werken, in denen sie Bronze und Stein in einer
Gestaltung vereint (Osterstein am Pertheswerk in Münster,
„Erwacht bei Sonnenaufgang“ in Münster und Sendenhorst, „der
erste Schritt“ auf Lauheide und in Gütersloh) bildeten die
Leuchtplastiken und die mit ihnen gestalteten meditativen
Abende eine wichtigen Schwerpunkt ihres Schaffens in den
neunziger Jahren. Eine Leuchtplastik ist ein Tongefäß aus
mehreren Teilen, in das Lichter eingesetzt werden, so dass
der dunkle Raum durch die Ausstrahlung des Tongefäßes in ein
Licht - Dunkel- Raumkunstwerk verwandelt wird. Die
Leuchtplastiken sind für Rika Unger Symbole für Menschen,
deren Leben zum Licht für andere Menschen wird.1997 erhielt Rika Unger in der Schweiz den Willy Fries
Preis. „Das künstlerische Gesamtwerk von Frau Unger zeugt
in hohem Maße von einem inständigen Bemühen um
Mitmenschlichkeit, vom Willen zur Freiheit, Ehrfurcht vor
der Schöpfung und von einer Offenheit für das
Transzendente.“ - so lautete die Begründung der Stiftung. Es
folgte 1999 erstmals eine Ausstellung ihres Werkes durch die
Stadt Münster.
Ihre beiden letzten Werke „Das Geheimnis des Hörens“ (am St. Josefs Kirchplatz in Münster) und der „Lichtschlüssel“
entstanden in der Zeit zwischen 1999 und 2001. Noch zuletzt
beteiligte sie sich an einer Ausstellung des BBK zum Thema
„Kunst und Sport“ mit einer kleinen Skulptur „der Sieger“.
Rika Unger starb nach kurzer Krankheit am 16.9.2002. |
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