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Erlebtes Bewusstsein - eine Einleitung

von Dr. theol., Dr. phil., a.o. Prof. Paul Wrzecionko, Universität Münster

Jede Kunst entspringt der Schöpferkraft des menschlichen Geistes. Ist sie aber allein aus dieser Kraft zu deuten? Seit je hat die Kunst auch eine Beziehung zur Wahrheit gehabt, denn sie transzendiert das Sichtbare und macht im Element der Materie und Formen, in Nachahmung und Abstraktion das unsichtbare Wesen sichtbar. Ob es die von den Griechen inspirierte Tendenz zur klassischen Schönheit, Harmonie und ethischen Norm ist, ob im flüchtigen Dahineilen aller Veränderungen, des Werdens und Vergehens das Dauerhafte festgehalten wird, oder ob der Künstler die geheimen Wirkkräfte der Welt erschaut und vergegenwärtigt, immer stellt uns die Kunst unsere Wirklichkeit vor Augen, jenseits ursprünglicher Unversehrtheit, diesseits ersehnter Vollendung. Wo tiefes Erleben und der Drang zum echten künstlerischen Ausdruck die gestaltenden Hände, den Pinsel und Meißel führen, werden Polaritäten und Spannungen offenbar, an denen der Mensch leidet, die unsere Welt charakterisieren. In dieser Möglichkeit, das alles auszudrücken, liegen Größe und Bedeutung jeder Kunst, falls sie nicht einem öden Naturalismus oder flachen Formalismus verfällt, begründet. Vermag die Kunst aber auch die Überwindung dieser Spannungen zu vermitteln?

Die Kunst kann auch Medium der Heilung sein, sofern der Künstler nicht nur unsere Wirklichkeit auf ihr Wesen hin transzendiert, sondern auch sich selbst, den Menschen und die Welt im Lichte der in der biblischen Botschaft geoffenbarten Wahrheit erlebt. Dann erst erhält diese Wesenserhellung ihre Prägnanz, die Polaritäten werden eindringlicher dargestellt; dann hat die Kunst, jenseits von hässlich und schön, aber auch die Ausdrucksmächtigkeit der uns von Gott zukommenden Erlösung und Versöhnung.

Was ist also der Mensch im Lichte der Wahrheit? Ohne Gott, nur auf sich selbst gestellt, ist er ein "Minusmensch": satt, selbstgefällig, keiner Verwandlung mehr fähig und daher ein abgestorbenes Wesen. Bewahrt er sich aber seine Erlebnisfähigkeit, öffnet er sich auch; dann erfährt er seine Erdgebundenheit, Endlichkeit und das Gesetz des Todes. Er vernimmt den Ruf, sich aufzurichten, und der Gegenpol seiner Existenz, selbstloses Handeln und Geben im ungetrübten Hören und Schauen, wird Inhalt seiner Sehnsucht. In der Wahrheit ist aber auch Erfüllung. Diese ist schon geschehen im Handeln und Leiden, Lieben und Sterben und Auferstehen des gekrönten Gottessohnes. Durch ihn wird diese Wahrheit aber auch unsere Wirklichkeit, indem der Gebeugte sich aufrichtet und auf dem Wege zum Mitmenschen, versöhnt mit Gott, Heilung seiner Zerrissenheit erfährt.

Sollte man eine solche Kunst, die das eindringlich darstellt, religiöse Kunst nennen? Ich wage das zu bezweifeln. Denn jeder Künstler, der im Erleben die Tiefen der Welt und des Menschen auslotet und mit schöpferischer Ausdruckskraft in Stoff und Form einfängt, wird, ob er will oder nicht, von diesen letzten irrationalen Kräften alles Seienden und Geschehens, den destruktiven, aber auch den heilenden, gebannt.

Rika Unger nennt ihre Werke "erlebtes Bewusstsein". Man könnte sie auch "bewusst gewordenes Erleben" nennen. Und dass die Künstlerin dieses Erleben so und nicht anders Gestalt werden ließ, wird für sie selbst genauso rätselhaft sein, wie für den Betrachter die tiefe Eindringlichkeit, mit der diese Werke ihn ansprechen.

  

  
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